Ein Forschungsteam aus Österreich hat untersucht, wie rechte Parteien und Bewegungen über Affekte mobilisieren. Vor allem verunsicherte Männer sind für solche Strategien anfällig.
“Ja, wir wollen Helden! Wann genau haben Männer eigentlich begonnen, Memmen zu werden?” - So kommentierte die erzkonservative Publizistin Birgit Kelle Anfang 2016 im Wochenmagazin Focus die gewalttätigen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht. Angeblich verweichlichte weiße Männer hätten ihre Begleiterinnen nicht vor aufdringlichen Migranten geschützt, klagte Kelle, CDU-Mitglied und Autorin von antifeministischen Büchern wie Dann mach doch die Bluse zu und Gender-Gaga. Unterstützung erhielt sie von Björn Höcke: Seit Jahren diagnostiziert der AfD-Rechtsaußen den “identitätsgestörten Mann” und fordert eine neue “Wehrhaftigkeit”.
Mit diesem Helden-Topos leiten Birgit Sauer und Otto Penz ihre Untersuchung über Affektive Strukturen der neuen Rechten ein. Sauer ist emeritierte Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien, Penz lehrte dort Soziologie. In ihrer gemeinsamen Forschungsarbeit suchen sie nach Erklärungen für den Erfolg autoritärer Parteien und Bewegungen in Deutschland und Österreich. Über dieses Thema ist in jüngster Zeit viel geschrieben worden, eher ungewöhnlich aber ist der wissenschaftliche Ansatz von Sauer und Penz. Denn sie wollen ökonomische und psychologische Analyse zusammenbringen, untersuchen die “neoliberale Transformation” vor dem Hintergrund “sich verändernder Geschlechter- und Sexualitätsverhältnisse”. Diese gedankliche Verknüpfung macht das Buch interessant und lesenswert - auch wenn die Lektüre wegen des ausgeprägt akademischen Duktus manchmal mühsam ist.
Eine gewisse Verwirrung stiftet schon der wenig eingängige Titel Konjunktur der Männlichkeit. Der Wort Konjunktur wird im deutschen Sprachraum überwiegend zur Bezeichnung wirtschaftlicher Zyklen benutzt. Die Autor*innen aber verwenden den Begriff, unter Bezugnahme auf den italienischen Theoretiker Antonio Gramsci, als kulturwissenschaftliche Kategorie. Das diene “dem Versuch, die Komplexität gesellschaftlicher Veränderungsprozesse einzufangen”. Ökonomische Bedingungen spielten dabei zwar eine grundlegende Rolle, aber nur in Kombination mit sozialen und kulturellen Faktoren komme man zu schlüssigen Folgerungen. Der Aufstieg des Rechtspopulismus erkläre sich eben nicht nur aus der zunehmenden Prekarisierung von Erwerbsarbeit, und “auch nicht alleine aus der wachsenden Autonomie von Frauen und Trans*personen”. Es gehe um die Wechselwirkung von Prozessen, an deren Ende “eine neue gesellschaftliche Formation erkennbar wird”.
Kampf um die Körperlichkeit
Die Rechte, so das Forschungsduo, strebe ein rassistisches und national orientiertes Gesellschaftsmodell der “Ungleichheit und Ausschließung” an. Zur Mobilisierung für diese Ideen werde eine “spezifische Affektstruktur aus Bedrohung, Angst, Wut und Hoffnung” angesprochen. Anfällig für solche Strategien seien vor allem deklassierte Männer, die sich durch den Niedergang industrieller Arbeit entwertet fühlen und zudem durch die erweiterten Rollen von Frauen im Privatleben verunsichert sind. Sauer und Penz halten Geschlecht und Sexualität für zentrale Faktoren, die wesentlich zu den Wahlerfolgen von Parteien wie AfD oder FPÖ beigetragen haben.
Nicht nur der Islam, auch ein so wahrgenommener, die eigene Identität gefährdender “Individualismus der westlichen Moderne” sei zum stimmigen Feindbild geworden. Der “Kampf um die Körperlichkeit” erscheine besonders bedrohlich, weil queere Emanzipationsbewegungen “feste Zuschreibungen ablehnen und sie aufzulösen suchen”. Die Kampagnen, so fassen Sauer und Penz zusammen, zielten auf die “Feeling rules”, wie sie die US-amerikanische Sozialforscherin Arlie Hochschild schon 1979 genannt hat. Antidemokratische Haltungen würden “in den Körpern der Menschen” verankert mit dem Ergebnis, dass diese rechte Positionen gleichsam von sich aus unterstützen. So habe sich eine “neue affektive Form des steuernden Zugriffs” etabliert.
“Sind Emotionen also per se demokratiegefährdend?”, fragen sich die Autor*innen, um gleich zu antworten: “Wir würden dies verneinen und denken vielmehr, dass die Tatsache, dass der autoritären Rechten dieses Spiel mit Affekten und Gefühlen gelingt, nicht zuletzt an der Emotionsstarre traditioneller Parteien liegt.”. Sie plädieren daher, im Appell an die Politik wie an zivilgesellschaftliche Initiativen, für die “demokratisch-emanzipative Aneignung von Leidenschaften”.
Maskulinistische Identitätspolitik
Der wohlfahrtsstaatliche Konsens nach dem Zweiten Weltkrieg, schauen Sauer und Penz zurück, basierte in (West-)Deutschland und Österreich bis weit in die 1970er Jahre hinein auf Geschlechterungleichheit, vor allem auf der Trennung von bezahlter Lohn- und unbezahlter Sorgearbeit. Frauen waren daher “nur prekär in den hegemonialen demokratischen Kompromiss” integriert, in der Politik blieben sie deutlich unterrepräsentiert. Zum “Signum der neoliberalen Konjunktur” wurden dann erhebliche Transformationen nicht nur der ökonomischen Verhältnisse, sondern auch der Geschlechterbeziehungen, und das gefährdete die Rollenentwürfe vor allem der traditionell orientierten Männer. Die wachsende finanzielle Autonomie von Frauen durch eigene Erwerbstätigkeit erleichterte die Scheidung von Ehen verspätet auch in der alten Bundesrepublik und auch die sich etablierende Gleichstellungspolitik veränderte die Machtbalance und die Gefühlsstrukturen innerhalb privater Beziehungen.
Spätestens seit Mitte der Nullerjahre artikulierten sich Gegenbewegungen in Gestalt einer Anti-Gender-Mobilisierung. Charakteristisch dafür, so die Autor*innen, sei ein “doppelter moralischer Antagonismus”. Vertikal konstruiere er einen Widerspruch zwischen unten und oben, zwischen dem “kleinen Mann” und einer abgehobenen Elite; als typisches Beispiel betrachten sie die rechte Polemik gegen die EU-Strategie des Gender Mainstreaming. Horizontal wiederum sollen Gruppen ausgegrenzt werden, die “die Homogenität und Identität, das ‘Eigene’ des Volkes infrage stellen” - das zielt auf queere Lebensentwürfe, aber auch auf Migrant*innen und Muslime. Es öffne sich ein “affektiver Raum”, die präsentierten Bedrohungsszenarien erweckten Ängste, manchmal gar eine “Geschlechter- und Sexualitätspanik”. Auf diese Weise habe sich im rechten Milieu eine “maskulinistische Identitätspolitik” entwickelt. Deren Ziel sei, ganz im Sinne des eingangs zitierten Björn Höcke, die Wiederherstellung der althergebrachten, “wehrhaften” weißen Männlichkeit.
Viele Details in diesem sehr wissenschaftlich geschriebenen Buch dürften jenen, die schon länger gegen antifeministische Strömungen aktiv sind, bereits bekannt sein. Das Konzept, ökonomische und emotionale Strukturen einer “neuen autoritären Konjunktur” nicht (wie leider so häufig) getrennt zu behandeln, liefert jedoch an vielen Punkten interessante Verbindungslinien und auch neue Erkenntnisse.